Man empfängt den Eindruck dieser Zusammengehörigkeit und zugleich Verschiedenheit, wenn man sich, auf der Donau herabkommend, den beiden Städten naht. Indem beide ihre Häuserreihen bis hart an die Donau vorschieben und durch eine Kettenbrücke mit einander verbunden sind, auf welcher beständig ein Menschenstrom herüber- und hinüberwogt, scheint man in der That nur die ungleichen Hälften Einer Stadt vor sich zu haben, wie dies bei Dresden oder Prag der Fall ist; aber während das königliche Buda, wie Ofen in der Volkssprache heißt, sich am Fuße und den Seiten finsterer Höhen hinbreitet und mit seinen stolzen Palästen, seinen Festungswerken, seinen alterthümlichen Häusern und den noch übrigen türkischen Thürmen an alte schwere Zeiten gemahnt, schimmert uns das offene, eben gelegene Pesth mit seinen glänzenden bürgerlichen Wohnungen und Friedenspalästen wie eine Einladung zu heiterem, festlichen Leben entgegen.
In Pesth ist Alles so frisch, so hell, so heiter belebt! Die breiten Straßen mit dem stattlichen Häusern, mit den glänzenden Kaufläden und den zahllosen reichen Aushängeschildern, welche die Stadt zu einer offenen Bildergallerie machen, dazwischen das Gewühl geschäftiger und fröhlich genießender Menschen in mancherlei Trachten der verschiedenen Nationalitäten des Landes – Alles dies steht im grellsten Gegensatz zu dem, was man in der Schwesterstadt wahrnimmt. In der That ist Ofen die Stadt der Vergangenheit, Pesth die Stadt der Gegenwart. Ofen ist vorzugsweise die Herrscher- und Kriegerstadt, Pesth die Stadt des Volks- und Bürgerthums; jene, einst die größere, zählt gegenwärtig nur 55.000 Einwohner, während das vor vor hundert Jahren noch kleine Pesth deren über 130.000 beherbergt.
Vom Blocksberg hat man eine Aussicht, die zu den schönsten der Welt gehört. Zu unseren Füßen liegen die beiden Städte und rings um sie her breiten sich Thal und Berg, Wald und Weingärten, Ebene und Fluß aus. Fern im Westen begrenzt der absehbare Zug des Bakonyerwaldes den horizont, im Nordosten das neograder Gebirge mit seinen blauumwobenen Höhen, im Osten blauen die sonnigen Matrahügel empor und nach Südosten und Süden verliert sich der Blick in die endlose Ebene, das Herz des Ungarlandes. Und durch das Ganze hindurch zieht sich, zauberhafte Inseln bildend, der majestätische Strom: die den osten mit dem Westen verbindende Donau.
In der Steppe hat sich der ungarische Nationalcharakter vor der Verweichlichung bewahrt, denn gerade hier war einst eine stählerne Kraft nothwendig, um die höhere Kultur, welche Europa zur Blühte zu bringen berufen war, zu schirmen. So segnen wir von unserm erhabenen Standort, dem Blocksberge, die grün- und goldschimmernde Steppe, zu welcher Pesth den Schlüssel bildet.
Meyer’s Universum 1863
Alle Texte sind in alter Schreibweise wiedergegeben und großteils unverändert. Die Bilder dienen als zeitgenössische Kommentare und entstammen demselben Werk.
MEYERS UNIVERSUM, Bibliographisches Institut, Hildburghausen 1844