Die Halbwilden von Wien

Schlurfs in Wien
"Schlurfs"; Photo: lautfragen.blackblogs.org

Während der Jahre 1933 bis 1945 fand in Amerika die goldene Ära der großen Swingbands statt, währenddessen regierte im selben Zeitraum in Deutschland – und während der Kriegszeit in ganz Europa – der Faschismus. Jazzmusik und die dazugehörigen Tänze wie beispielsweise der Lindy Hop waren in weiten Teilen Europas offiziell als “entartet” diffamiert. Es schien, als wären die amerikanischen Kulturprodukte durch diese Ächtung für junge Menschen noch anziehender geworden. In den großen Städten Deutschlands, aber auch im besetzten Frankreich oder im Gebiet des heutigen Tschechiens, entwickelten sich Jugendsubkulturen. Diese Jugendlichen blieben resistent gegenüber der NS-Propaganda und festigten ihre Haltung mit der Begeisterung für diese anglo-amerikanische Musik- und Tanzkultur. 

Schlurfs und Schlurf-Katzen

In Wien hießen diese Jugendlichen “Schlurfs”. “Schlurfs” waren Teenager aus den Arbeiterbezirken, die während des zweiten Weltkrieges einen hedonistisch geprägten Dandy-Stil etablieren wollten. Als Stil-Vorbilder dienten den männlichen “Schlurfs” amerikanische Jazz-Jugendkulturen wie zum Beispiel die “Zoot-Suiters”. Sie trugen ihr Haar lang und im Nacken zu einem “Ducktail” (in Österreich “Schwalbenschwanz” genannt) frisiert und dazu überlange Sakkos. Die Mädchen, sogenannte “Schlurf-Katzen”, auch gerne abwertend als “Modepupperl” bezeichnet, kleideten sich dazu so amerikanisch wie möglich.

Die “Schlurfs” verweigerten zudem jegliche NS-Jugendorganisationen und erklärten das Grätzel rund um den Wiener Prater als ihr Hoheitsgebiet. Zu jener Zeit herrschte quasi Krieg zwischen den “Schlurfs” und  den Angehörigen der “Hitlerjugend” (HJ) sowie dem “Bund Deutscher Mädel” (BDM). Immer wieder kam es zu schwerem Raufhandel und zu Revierkämpfen. In Wien gab es damals verschiedene Schlurf-Banden, die im Schlurfjargon “Platten” genannt wurden. 

Gegen Kriegsende spitzte sich die Lage in Wien zu und das NS-Regime verschärfte seine Gangart. Ab Herbst 1944 wurden Jugendliche in Tanzschulen von der Gestapo aufgegriffen und in Lagerhaft verbracht. Tanzschulen waren damals sehr beliebte und typische Treffpunkte der “Schlurfs” und trotz des generellen Tanzverbotes blieben die meisten Tanzschulen bis Kriegsende geöffnet.

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Die Halbstarken

Im Allgemeinen sind derartige Jugendsubkulturen weitläufig unter den Begriffen “Halbstarke” oder “Halbwilde” bekannt. Durch ihre proletarische Lebensweise, dem “Herumhängen” und ihrer schlüpfrigen übergroßen Kleidung wegen, erhielt diese Wiener Jugendsubkultur die stolze Eigenbezeichnung “Schlurf”. Im Gegensatz dazu gab es die Wiener “Swings”, die sich die teureren Lokale in der Inneren Stadt leisten konnten. Zu ihnen zählten beispielsweise Helmut Qualtinger, Günther Schifter, Michael Kehlmann und der spätere Journalist Paul Bopp.

Helmut Qualtinger besang in seinem Lied “Der Halbwilde” eben diese Jugendkultur. Der Text und die Musik zu diesem Stück stammen übrigens von Gerhard Bronner. Vorbild zu diesem Titel war wohl der 1953 erschienene Film “Der Wilde” mit Marlon Brando, wie unschwer am Text zu erkennen ist. Und wohl trifft diese eine Textzeile den Lebenswandel der damaligen Jugendsubkultur sehr trefflich: “I hob zwoar ka Ohnung wo i hinfoahr, aber dafür bin i gschwinder duat.” [Ich habe zwar keine Ahnung wo ich hinfahre, aber dafür bin ich schneller dort.]

Filmtipp: Schlurf – Im Swing gegen den Gleichschritt (aktuell in Amazon Prime enthalten)

Quellen - und Bildnachweise: Anton Tantner, Diplomarbeit am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien, 1993; "Schlurfs". Annäherungen an einen subkulturellen Stil Wiener Arbeiterjugendlicher von Anton Tantne, Morrisville: Lulu, 2007, [ISBN 978-1-84753-063-9]; lautfragen.blackblogs.org
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