Panoptikum Europa – Paris

Paris
Paris 1840; K.v. Hailbronner, 1837
Paris ist die Stadt, welche jeder Gebildete von Zeit zu Zeit besuchen sollte, um sich an diesem Focus europäischer Civilisation wieder zu erwärmen, um die glänzenden Strahlen des lebendigen Geistes in sich zu sammeln und die Formen vielseitiger Richtungen der Lebensweise in sich aufzunehmen. Die Lebensart zu Paris ist doch die angenehmste der Welt. Man dinirt um halb 6 oder 6 Uhr sehr copieusement, nimmt Kaffee in der Rotunde, treibt sich noch eine Stunde im Palais royal umher, geht in ein Theater und von da wieder in die Gesellschaft, die man verläßt, sobald man sich ennuyirt.

Keine Stadt in Europa hat einen so schönen, so ausgedehnten Spaziergang in ihrem Inneren als Paris: diese lange Reihe von Boulevards, die einem reichen, breiten Gürtel gleichen. Hier ist ewiger Markt, ein ambulirendes Rundgemälde, wo der Beobachter alle Classen der Gesellschaften  musternd an sich vorüberziehen läßt, oder wo der Lebenslustige sich hineinstürzt in das nie endende Gewühl von Menschen aller Ständen. Welch’ mächtiger Unterschied zwischen den Bewohnern des Boulevard des Italiens und dem Platz der Bastille, zwischen den Spaziergängern vor dem Café Riche und denen vor dem Jardin turc. 

Auf dem Boulevard du Temple ist Morgens acht Uhr alles bereits in Bewegung: die Kaufleute sind fertig mit der Etalage, die Köchinnen eilen auf den Markt. An der schönen , isolirt stehenden Porte St. denis ändert sich bereits das Bild; hier wird es kaum erst tag und schon werden Anstalten zum Frühstück in den verschiedenen Boutiquen getroffen. Auf dem Boulevard der Madelaine herrscht dagegen noch tiefe Ruhe, der Tag beginnt dort erst drei Stunden später. erst zur Mittagsstunde erscheinen die Elegants; die Cabriolets und die Equipagen werden immer zahlreicher, die Kaufbuden immer glänzender; alles belebt sich, alles ist geputzt wie für den Festtag, und um 3 Uhr ist der wahre Culminationspunkt dieses Boulevards, wo alles hinströmt, um seine Toilette, sein neues Pferd, seinen neuen Wagen zu zeigen, oder die Anderen zu sehen. Das Air von Ueberfluß hat etwas Imponirendes. 

K.v. Hailbronner, 1837

Alle Texte  sind in alter Schreibweise wiedergegeben und großteils unverändert. Die Bilder dienen als zeitgenössische Kommentare und entstammen demselben Werk. 

HAILBRONNER, Karl; Cartons aus der Reisemappe eines deutschen Touristen; J. G. Cotta, Thüringen 1837
Reklame

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffntlicht.

Schaufenster

Kategorien

Ebenfalls interessant

Magyarische Mythologie

Wir alle kennen die griechische Mythologie, römische Mythologie und auch die Götter der germanischen Mythologie. Doch kaum jemand kennt