Keine Stadt in Europa hat einen so schönen, so ausgedehnten Spaziergang in ihrem Inneren als Paris: diese lange Reihe von Boulevards, die einem reichen, breiten Gürtel gleichen. Hier ist ewiger Markt, ein ambulirendes Rundgemälde, wo der Beobachter alle Classen der Gesellschaften musternd an sich vorüberziehen läßt, oder wo der Lebenslustige sich hineinstürzt in das nie endende Gewühl von Menschen aller Ständen. Welch’ mächtiger Unterschied zwischen den Bewohnern des Boulevard des Italiens und dem Platz der Bastille, zwischen den Spaziergängern vor dem Café Riche und denen vor dem Jardin turc.
Auf dem Boulevard du Temple ist Morgens acht Uhr alles bereits in Bewegung: die Kaufleute sind fertig mit der Etalage, die Köchinnen eilen auf den Markt. An der schönen , isolirt stehenden Porte St. denis ändert sich bereits das Bild; hier wird es kaum erst tag und schon werden Anstalten zum Frühstück in den verschiedenen Boutiquen getroffen. Auf dem Boulevard der Madelaine herrscht dagegen noch tiefe Ruhe, der Tag beginnt dort erst drei Stunden später. erst zur Mittagsstunde erscheinen die Elegants; die Cabriolets und die Equipagen werden immer zahlreicher, die Kaufbuden immer glänzender; alles belebt sich, alles ist geputzt wie für den Festtag, und um 3 Uhr ist der wahre Culminationspunkt dieses Boulevards, wo alles hinströmt, um seine Toilette, sein neues Pferd, seinen neuen Wagen zu zeigen, oder die Anderen zu sehen. Das Air von Ueberfluß hat etwas Imponirendes.
K.v. Hailbronner, 1837
Alle Texte sind in alter Schreibweise wiedergegeben und großteils unverändert. Die Bilder dienen als zeitgenössische Kommentare und entstammen demselben Werk.
HAILBRONNER, Karl; Cartons aus der Reisemappe eines deutschen Touristen; J. G. Cotta, Thüringen 1837