Die Katastrophe von Le Mans

Le Mans 1955
Unfall in Le Mans 1955; Foto: FlyAkwa - CC BY-SA 4.0; commons.wikipedia.com

Am Donnerstag, den 11. Juni 2020 jährt sich die Tragödie von Le Mans zum 65. Mal. Die Saison 1955 startete für Mercedes und deren beiden Spitzenfahrer Juan Manuel Fangio und dem Ausnahmetalent Stirling Moss sehr erfolgreich. Viele Siege in der Formel 1 und auch die Mille Miglia konnte Moss für sich und das Daimler-Benz-Werksteam entscheiden.

Der große Tag

Am 11. Juni 1955 stand das legendäre “24 Stunden Rennen von Le Mans” auf dem Kalender. Schon Wochen und Tage vor dem großen Tag bereitete sich die 130.000 Einwohner-Stadt auf dieses Spektakel vor. In der sonst recht verschlafenen Provinz um Le Mans kam einmal jährlich der Flair der großen Welt zu Besuch, überall herrschte Volksfeststimmung. Viele Einheimische machten einen Ausflug an die Strecke, ein Picknick mit der ganzen Familie direkt am Streckenrand. Es gab damals noch keine Zäune oder Absperrungen. Le Mans war noch ein Relikt aus jener Zeit, bei der zum Rennfahren noch Todesmut gehörte.

Mercedes reiste mit hochentwickelten Wagen zum großen Rennen an, und alle anderen Teams kämpften dieses Jahr gegen Mercedes. Erstmals kam eine “Luftbremse” beim Mercedes 300 SLR zum Einsatz. Es war eine Klappe am Heck des Fahrzeuges, die sich beim Bremsen emporhob und so den damit gewonnenen Luftwiderstand als zusätzliche Bremse nutzte. Jaguar hingegen trat in Le Mans 1955 erstmals mit Scheibenbremsen an. Alle anderen Fahrzeuge waren seinerzeit noch mit Trommelbremsen ausgestattet. Es war fast wie in alten Kriegstagen – England gegen Deutschland und das auf französischem Boden.

Das Mercedes-Werksteam setzte an jenem Tag den Ersatzfahrer Pierre Levegh für den verunglückten Hans Hermann ein. Dieser hatte sich beim Großen Preis von Monaco 1955 schwere Verletzungen zugezogen und befand sich zurzeit im Krankenhaus. Hans Herrmann verfolgte das große Rennen von Le Mans jedoch auf dem Fernsehgerät in seinem Krankenzimmer. 

Pierre Levegh war ein Hobbyrennfahrer, der unter einem Pseudonym antrat. Sein bürgerlicher Name war Pierre Eugène Alfred Bouillin und er galt als überaus erfahrener und sicherer Fahrer. Legendär wurde er durch das Rennen in Le Mans 1952. Levegh fuhr damals, freilich als Privatfahrer, fast das komplette Rennen alleine, und er hätte es auch geschafft, wäre ihm nicht ein Motorschaden 70 Minuten vor Rennende in die Quere gekommen. Er fuhr also 23 Stunden am Stück – ohne Schlaf oder Pause!

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Der Le Mans-Start ist Kult

Ein Markenzeichen des 24 Stunden Rennens in Le Mans ist der sogenannten “Le Mans Start”. Dabei stehen die Fahrzeuge schräg zur Fahrbahn ausgerichtet auf der einen Seite der Strecke, die Fahrer positionieren sich gegenüber ihrer Fahrzeuge auf der anderen Seite der Fahrbahn. Beim Startsignal eilen die Fahrer zu ihren Wagen, springen hinein, starten den Motor und rasen los. Damals gab es noch keine engen Cockpits und auch noch keine Sicherheitsgurte. 

An jenem Tag war es nun wieder einmal so weit: Start zum dreiundzwanzigsten 24 Stunden Rennen von Le Mans, der Tag der Apokalypse. Etwa 300.000 Zuschauer hatten sich an diesem sonnigen Tag um den Straßenkurs bei Le Mans versammelt. Die Tribünen auf der Start-Ziel-Geraden waren maßlos überfüllt. Menschen standen auf Leitern und Brettern, um besser auf die Geschehnisse blicken zu können. Schon kurz nach dem Start begannen die ersten Führungskämpfe und es versprach spannend zu werden. Mike Hawthorn auf Jaguar führte das Feld an, dicht dahinter Juan Manuel Fangio auf Mercedes, zwischendrin der bereits überrundete Pierre Levegh ebenfalls auf Mercedes.

Das Schlachtfeld Le Mans

In Runde 35, also gut zwei Stunden nach dem Start, erhielt Hawthorn die Anweisung, in die Box zu kommen. Damals wurde dies durch das Zeigen des Tanktrichters signalisiert. Auch gab es keine bauliche Trennung zwischen Boxengasse und Rennstrecke. Die Fahrzeuge hielten einfach am rechten Streckenrand, während der restliche Tross mit irrwitziger Geschwindigkeit daran vorbei raste. Gegen Ende dieser Runde überrundete Mike Hawthorn den langsameren Briten Lance Macklin auf Austin Healey und scherte dann knapp vor Macklin liegend zum Boxenstopp ein. Die Scheibenbremsen des Jaguars verzögerten jedoch schneller und besser als die Trommelbremsen des Austin-Healey 100.

Lance Macklin mußte nach links die Spur wechseln, übersah dabei aber den von hinten herannahenden Mercedes von Pierre Levegh. Pierre Levegh touchierte daraufhin den Austin von Macklin, hob bei voller Geschwindigkeit nach links ab und flog ungebremst in den Erdwall direkt vor der Haupttribüne. Macklins Wagen wurde nach rechts über die Strecke in die Boxen geschleudert, schlug in die dortige Mauer ein und schlingerte weiter der Fahrbahn entlang. Drei Menschen riss der Austin Healey dort in den Tod. 

Indes löste sich Leveghs Mercedes durch den harten Aufprall in sämtliche Einzelteile auf. Die Motorhaube löste sich, die Vorderachse riss aus der Verankerung und schoss direkt in die Zuschauer. Auch der Motorblock löste sich und mähte durch die Menschenmenge. Das Fahrzeug ging zeitgleich in Flammen auf –  Explosionen und ohrenbetäubender Lärm. Die Menschen fielen wie Dominosteine um. Sekunden später war es still. Rettungskräfte und Feuerwehrleute versuchten verzweifelt zu retten, was zu retten war. Schreie und überall Blut – ein Bild, das sich in die Gehirne der Augenzeugen eingebrannt hatte!

Ein Augenzeuge berichtete: “Als ich wieder hoch sah, lagen alle Menschen um mich auf dem Boden verteilt.” Ein anderer Augenzeuge schilderte später unter Tränen: Ich sah einen Mann mit einem Kind auf dem Arm. Es hatte keinen Kopf mehr.

86 Menschen fanden an jenem schwarzen Tag den Tod und über 200 weitere Personen wurden verletzt. Pierre Levegh erlag wenig später seinen schweren Verbrennungen. Lance Macklin überlebte diese Tragödie.

Das Rennen ging weiter

Trotz dieser Katastrophe nahm das Rennen seinen Lauf. Auch MIke Hawthorn fuhr wieder aus der Box und nahm das Rennen auf. Mercedes lag in den Abendstunden mit einer Runde Vorsprung vor Jaguar an der Spitze. Als jedoch die Mercedes-Zentrale in der Nacht zum 12. Juni von diesem Vorfall erfuhr, nahm sie die noch verbliebenen Wagen sofort aus dem laufenden Rennen. Mike Hawthorn gewann dieses Rennen vor seinem Landsmann Ivor Bueb, ebenfalls auf Jaguar. Aus Respekt vor den Opfern wurde auf eine Siegesfeier gänzlich verzichtet. 

In Frankreich, Deutschland, Spanien und in der Schweiz wurden daraufhin Motorsportveranstaltungen abgesagt oder verboten. In der Schweiz gilt dieses Verbot bis heute. Weltweit wurden Rennstrecken umgebaut und sicherer gemacht. Die offizielle Untersuchungskommission kam damals zu dem Schluss, dass der Jaguar nicht für die Katastrophe verantwortlich gewesen wäre. Es handelte sich dabei um einen reinen Rennunfall, und diese Tragödie wurde nur durch mangelnde Sicherheitsvorkehrungen hervorgerufen.

Mercedes zog sich nach der Saison 1955 für mehrere Jahre aus dem Rennsport zurück. Auch änderte dieser Vorfall den Motorsport dahingehend, dass nun für mehr Sicherheit für  Fahrer und Zuseher gesorgt wurde. 

Quellennachweise: ZDF-History: Die Katastrophe von Le Mans. Rennen in den Tod, 2010, von Guido Knopp; Wochenschau “Welt im Bild” vom 15.06.1955; 
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