Spanische Grippe: Die Mutter aller Pandemien

Spanische Grippe
Notkrankenhaus im Camp Funston, Kansas, während der Spanischen Grippe, 1918; Photo: Otis Historical Archives

Vor etwas mehr als 100 Jahren ereilte die Welt wohl die größte Pandemie der jüngsten Geschichte. Die Rede ist von der sogenannten “Spanischen Grippe”, einer besonders aggressiven Variante des Influenza-Virus mit der Bezeichnung H1N1. Die Gesamtzahl der Todesfälle wird auf etwa 50 Millionen Menschen geschätzt, liegt aber vermutlich bei rund 100 Millionen Menschen. Die “Spanische Grippe” hat mehr Menschenleben gefordert als beide Weltkriege zusammen und ist somit zweifellos als die größte Katastrophe der Welt einzustufen.

Der Name “Spanische Grippe” entstand wohl daraus, dass die ersten Meldungen dieser neuen Krankheit aus Spanien verbreitet wurden. Die Nachrichtenagentur Reuters meldete am 27. Mai 1918 die Erkrankung des spanischen Königs Alfons XIII. Spanien war zu jener Zeit neutral und hatte eine dementsprechend liberale Zensur. Alle anderen Länder waren zu sehr mit Kriegsmeldungen und Politik beschäftigt und schenkten dieser Krankheit zudem keine Aufmerksamkeit. Ein großer Fehler, wie sich später herausstellen sollte.

Wie alles begann

Ungeachtet des etwas irreführenden Namens stammt diese Grippe wohl aus Amerika, wie viele Forscher später festgestellt haben. 

Wir schreiben März 1918, eine kleines Camp der US-Armee in Funston in Kansas. Am Morgen des 4. März klagte der Soldat Albert Gitchell über Fieber, Kopfschmerzen und einen rauen Hals. Er wurde sofort in die Krankenstation aufgenommen. Es schien nichts beunruhigendes zu sein, nur normale Anzeichen einer Grippeinfektion. In den darauffolgenden Stunden füllte sich die Krankenstation im Camp Funston immer mehr, alle Männer zeigten die gleichen Symptome. Alle hatten sich mit der tödlichen “Spanischen Grippe” angesteckt.

Woher genau diese Grippe stammt und wie sie entstanden ist, ist bis heute nicht ganz klar. Der bekannte und anerkannte Grippeforscher Jeffery Taubenberger konnte jedoch Erbgutreste der Viren in Schwarzkopfruder- und Zimtenten entdecken. Seitdem gilt es als sehr wahrscheinlich, dass H1N1 irgendwann vor dem 4. März 1918 vom Vogel auf den Menschen übertragen worden sein muss. Soldat Albert Gitchell war wohl auch nicht der erste erkrankte Mensch.

Um den 11. März langten dann auch von anderen amerikanischen Stützpunkten Infektionsmeldungen ein. 

Über den Seeweg dürfte das heimtückische Virus danach in die ganze Welt verschleppt worden sein und dezimierte die Menschen in Amerika genauso wie in Europa, Asien und dem Rest der Welt. “Heute morgen hat unsere Kompanie 40 Mann mit hohem Fieber, wieder müssen mehrere mit Tragbahre fortgetragen werden. Das geht so Tag für Tag.“, notierte seinerzeit ein deutscher Soldat in seinem Tagebuch.

Im Mai folgte dann die Meldung aus Spanien, weitere aus Frankreich, Italien, von den Philippinen, aus Neuseeland und China. Im Juli desselben Jahres legten sich endlich die Erkrankungen und der Spuk schien zu Ende zu sein. Nur wenige starben an den Folgen der Grippe. 

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Das große Verderben

Doch dann ab August schlug das Virus abermals zu. Noch heftiger und noch gnadenloser als je zuvor sollte diese zweite Welle werden. Und dies bewahrheitete sich leider tatsächlich.  Bis in den Juni 1919 starben rund 50 Millionen Menschen weltweit an der “Spanischen Grippe”. Einige Forscher und Historiker sprechen sogar von bis zu 100 Millionen Todesopfern. Die Besonderheit der “Spanischen Grippe” war, dass ihr vor allem 20- bis 40-jährige Menschen erlagen. Sie klagten über hohes Fieber, Kopfschmerzen und Atemnot und es entwickelt sich daraus oft eine schwere Lungenentzündung. Bei besonders schwerem Verlauf  zeichneten sich auf den Wangen der Erkrankten auch zwei rotbraune Flecken ab,  die sich über das ganze Gesicht ausbreiten konnten – so die britische Wissenschaftsjournalistin Laura Spinney, die in ihrem Buch “1918 – Die Welt im Fieber” einen US-Militärarzt zitierte.

Kein Einsteigen ohne Maske, der Schaffner kontrollierte damals streng.

Die damaligen Ärzte waren mit dieser unbekannten Krankheit überfordert. Es gab keinerlei wirksame Medikamente und es gab auch keine Impfstoffe. Influenzaviren wurden nämlich erst im Jahre 1933 entdeckt, und so tappte man in den 1910er-Jahren noch völlig im Dunkeln. Nachdem diese verheerende zweite Welle endlich abgeflacht war, folgte ab März 1919 eine dritte Welle, die bis weit in das Jahr 1920 hineinreichte. In dieser wieder etwas harmloseren Welle starben nicht mehr so viele Patienten wie zuvor. Aber wiederum starben sehr viele jüngere Menschen daran. Unter den zahlreichen Opfern fanden sich auch viele prominente Opfer wie Egon Schiele (österreichischer Maler) und seine Frau Edith, Max Weber (deutscher Soziologe) und Frederik Trump, der Großvater von Donald Trump.

Der Kampf gegen das Virus

Als nichtmedikamentöse Behandlungsmethoden verordnete man Heißluft und elektrische Lichtbäder, auch Schwitz- und Prießnitzkuren wurden durchgeführt. Allerdings waren derlei Therapien meist wirkungslos. Da seinerzeit noch keine spezifischen Heilmittel oder Impfstoffe zur Verfügung standen, verabreichten die Ärzte zur Linderung der Symptome Chinin, Antipyrin oder Phenacetin. Bei schweren Erkrankungen wurde auch zu Substanzen wie Opium, Morphium, Heroin oder Kokain gegriffen.

Das effektivste Mittel jedoch war die Einschränkung sozialer Kontakte, Schließungen, Quarantäneverordnungen und das Tragen eines Mundschutzes. Dies fanden später unzählige Studien heraus, wie beispielsweise die des “Journal of the American Medial Association” aus dem Jahr 2007 oder aber auch zwei weitere Studien des “Proceedings of the National Academy of Sciences”. Bei diesen amerikanischen Studien zeigte sich ganz klar, dass Städte, die schnell mit strikten Maßnahmen reagierten, wie die Städte St. Louis, San Francisco, Milwaukee und Kansas City, die Ansteckungsrate um bis zu 50% vermindern konnten. Und das in kürzester Zeit. Ein Artikel von National Geographics veranschaulicht dies auch anhand zahlreicher grafischer Verlaufskurven recht deutlich.

Die Bürger zu solchen Maßnahmen zu bringen, stellte damals ein großes Problem dar. In einigen Teilen der Welt gab es bei Verstößen empfindliche Strafen bis hin zu Gefängnisstrafen. In San Francisco kam es sogar zu einem tragischen Vorfall, als ein Gesundheitsbeamter drei Menschen erschoss, weil diese keine Gesichtsmasken tragen wollten.

Die Zeit danach

Nachdem die “Spanische Grippe” im Jahre 1920 abgeklungen war, erreichte in den Jahren 1932 und 1933 Deutschland eine neuerliche Grippewelle. Diese war jedoch um ein vielfaches milder und konnte nicht mit der “Spanischen Grippe” in Verbindung gebracht werden. Im Jahre 1933 wurde von Patrick Laidlaw, Wilson Smith und Christopher Andrewes jenes Grippevirus erstmals entdeckt, welches durch Wasser (Wasser, Eis), Luft (Aerosol) oder andere Oberflächen (Metalle, Papier, etc.) auf den Menschen übertragen werden konnte. Auf Basis dieser Erkenntnis durch das “National Institute for Medical Research” begann man das Virus zu erforschen und entdeckte im Jahre 1936 erstmals neutralisierende Antikörper im Blut von infizierten Personen. Noch im selben Jahr produzierte der Russe A. A. Smorodintseff den ersten Lebend-Grippeimpfstoff der Welt. 1942 wurde dann erstmals bivalenter Impfstoff in den USA lizenziert und der allgemeinen Bevölkerung zugänglich gemacht.

In den nachfolgenden Jahrzehnten ereigneten sich noch einige weitere Epidemien und Pandemien, wie beispielsweise die “Asiatische Grippe” im Jahre 1957, die “Hongkong Grippe” im Jahre 1968 oder die “Russische Grippe” in den Jahren 1977 und 1978. Das H1N1-Genom der “Spanischen Grippe” konnte dabei im Jahre 2005 von einer Arbeitsgruppe um Jeffery Taubenberger rekonstruiert und als Auslöser der “Russischen Grippe” festgemacht werden.

Seit der Veröffentlichung der Arbeit von Jeffery Taubenberg und David M. Morens im Jahre 2005 warnen weltweit Virologen vor einer neuerlichen Pandemie, die aufgrund der höheren räumlichen Mobilität die “Spanische Grippe” um ein Vielfaches übertreffen könnte. 

Quellennachweise: National Geographics - Artikel von Nina Storchlic und Riley D. Champine, 2020;  1918 Influenza: the mother of All Pandemics von Jeffery K. Taubenberger und David M. Morens, 2006; cdc.gov; 1918 - Die Welt im Fieber von Laura Spinney, Hanser Verlag, München, 2018, [ISBN:ISBN 978-3-446-25848-8]; ncbi.nlm.nih.gov; pharmazeutische-zeitung.de; history.navy.mil; rki.de; jstor.org
Personeninformationen:
Jeffery Karl Taubenberger; David M. Morens; Laura Spinney; Christopher Andrewes; Wilson Smith;
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