Das Bandlkramerlandl

Bandlkramerlandl - Groß Siegharts
Ortseinfahrt Groß Siegharts; Photo: Der Nostalgiker

Das “Bandlkramerlandl” ist eine historische Bezeichnung für die Textilregion um Waidhofen an der Thaya und Groß Siegharts im Waldviertel. Der österreichische Dialektbegriff vereint drei Worte ineinander, das Band [“Bandl”], (Bändchen, Kurzwaren), den Kramer [“Kramer”], (Krämer, Händler) und das Land [“Landl”], (Land, Region). 

Wie alles begann

Das Schloss Groß Siegharts wurde ursprünglich im 12. Jahrhundert für den Grafen von Raabs erbaut. Danach gab es unzählige andere Besitzer bis es letztendlich im 16. Jahrhundert an die Familie Welzer erging. Die Welzers nahmen einige Umbauten vor, wie die zweiflügeligen Baukörper mit den Rundtürmen. Von 1681 bis 1732 zog Graf Johann Christoph Ferdinand von Mallenthein in dieses Anwesen, der weitere wesentliche Änderungen durchführen ließ. Das letzte Adelsgeschlecht in Schloss Siegharts waren die Van der Straaten. Danach ging das Schloss an die Gemeinde Groß Siegharts über und seit 1897 dient das Schloss als Rathaus.

Aber kommen wir nochmal zurück zum Grafen Mallenthein, denn er war der Mann, der Groß Siegharts zu dem machte, was es heute ist. Bis zum Jahre 1720 bestand Siegharts lediglich aus 55 Häusern und war eine kleine unscheinbare Ortschaft im Waldviertel. Graf Mallenthein baute die Herrschaft jedoch immer weiter aus und so wurde Groß Siegharts im Jahre 1727 zum Markt erhoben. Die Zielsetzung des Grafen war es nämlich, aus Siegharts den Ort Milledom (Tausendhaus) zu machen.

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Hut-, Soken- und Tuchmacherey

Herrschaftsbesitzer Johann Christoph Ferdinand Mallenthein errichtete im Jahre 1720 seine erste “Hut-, Soken- und Tuchmacherey” in der Berggasse 1. Das einstige Bauernhaus befand sich seinerzeit in der sogenannten “Winterzeile”, die gemeinsam mit der “Sommerzeile” die heutige Waidhofner Straße bildete. Als Rohmaterial diente damals Schafwolle, die aus der Herrschaftlichen Schäferei stammte, aber auch Flachs und Baumwolle wurden verarbeitet. Durch den baldigen Bankrott des Grafen Mallenthein fand diese Unternehmung jedoch ein jähes Ende. 

1742 kaufte der Bandverleger Joseph Marquard die Tuchmanufaktur von Mallenthein. Verleger, die sogenannten “Bandlkramer”, kauften derartige Unternehmen und ließen die Waren über “Bandlträger” in andere Landesteile absetzen. Bandverleger waren also keine Produzenten, sondern Organisatoren der häuslichen Bandweberein. 

Später im Jahre 1780 ging das Anwesen in den Besitz von Franz Achtsnit über. Er wandelte die Tuchfabrik in eine Bandweberei um. Obendrein übernahm er einige häusliche Bandwebereien, die meist in kleinen Bauernhäusern untergebracht waren. Langsam wuchs dieses Vorhaben zu einem ansehnlichen Unternehmen. Franz Achtsnit verstarb im Jahre 1798 und die Unternehmung kam zum Stillstand. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde das Gebäude in eine Brauerei umgewandelt. Die Brauerei und Gastwirtschaft war schließlich bis zum Zweiten Weltkrieg in Betrieb. Seiher dient das Haus in der Berggasse als Gasthof.

Textilarbeitersiedlung “Neugebäu”

Graf Mallenthein ließ in den Jahren 1720 bis 1725 neben seiner Fabrik auch eine Arbeitersiedlung errichten. Sie lag seinerzeit außerhalb der Ortschaft Groß Siegharts und bestand aus 160 Kleinhäusern. Durch Gärten und kleine Ackerflächen konnten sich die Familien dort selbst versorgen, das Problem der fehlenden Arbeitskräfte war damit gelöst. Die Siedlung “Neugebäu” lag nördlich von Groß Siegharts und bestand aus drei parallel angelegten Straßenzügen: der Langen Gasse, der Karlsteiner Straße, der Schwabengasse und einem kleinen Platz. Die Häuser waren im Stil der Waldviertler Bauernhäuser gebaut und besaßen Grundflächen zwischen 48m² und 150m². 

Mit dem Bankrott des Mallentheinschen Unternehmens ging die Bedeutung des Ortes stark zurück. Die Existenz der vielen Kleinhäuslerfamilien machten jedoch aus Groß Siegharts weiterhin einen bedeutsamen Ort. 

Groß Siegharts 1925; Photo: Historický ústav Akademie věd České republiky

Bandweberei Wagner

Leopold Wagner entstammt einer alten Groß-Sieghartser Bandhändlerfamilie und produzierte schon seit 1836 in einem kleinen Haus der Gemeinde Bänder. 1850 erwarb seine Familie den Fabrikkomplex in der Fabrikstraße 4, der 1866 in der Schiefergasse erweitert wurde, und von nun an erfolgte die Bandproduktion in der eigenen Fabrik. Ungefähr fünfzehn Handbandwebstühle waren damals in Betrieb. In den Achtzigerjahren des 19. Jahrhunderts erfolgte eine neuerliche Erweiterung – Kesselhaus, Maschinenhaus und Schlosserei kamen hinzu. Die Fabrik wurde nachfolgend noch um eine Bleicherei und Färberei vergrößert und nachfolgend  wurde ein Quertrakt zur Bahnstraße errichtet. Dieser beheimatete einen Tischlereibetrieb. Vor dem Ersten Weltkrieg waren in der “Bandweberei Leopold Wagner” rund 150 Arbeiter beschäftigt.

Zwischen 1919 und 1923 wurde der zentrale Antrieb dann auf elektrische Energie umgestellt. Die Beschäftigungszahl ging jedoch in der Zwischenkriegszeit beträchtlich zurück. Erst durch die Nachfrage an technischen Bändern durch die Wehrmacht kam es in der Fabrik wieder zu einem leichten Aufschwung. 1956 wurde abermals modernisiert und die Produktion war bis in das Jahr 1981 in Betrieb. Nach der Stilllegung wurden einige Bandwebautomaten an die Bandweberei Silberbauer verkauft. Das Kesselhaus samt Fabrikschlot wurden abgetragen. Ein Teil des Gebäudeflügels in der Schiefergasse (heute Bahnhofstraße 11a) wurde bis Januar 2021 von der Weberei Zeindl genutzt. Anfang 2021 übernahm die Firma Silberbauer den Komplex. Gründer Erwin Zeindl ging nämlich wohlverdient in Pension.

Bandweberei Adensamer

1847 ließ der Textilfabrikant Josef Adensamer in Groß Siegharts eine Bandweberei errichten. Sein Betrieb in Wien in der Schottenfeldgasse wurde nämlich bald zu klein, und daher verlagerte er seine Produktion ins Waldviertel. 1880 wurden ein Kesselhaus und ein Schornstein errichtet und Dampfmaschinen angeschafft, um die damals 500 Bandstühle betreiben zu können. In der Hochzeit waren über 540 Arbeiter und Arbeiterinnen in der Adensamer Fabrik beschäftigt. Damit zählte diese Bandfabrik zur damals größten der österreichisch-ungarischen Monarchie. 

1905 wurde das weitläufige Betriebsareal mit elektrischer Beleuchtung ausgestattet, doch nach der Gründung der Tschechoslowakei schien die Kohleversorgung gefährdet zu sein. Deswegen erwarb man eine Wasserkraftanlage eines Sägewerks und ließ eine Turbine einbauen. Zu jener Zeit wurde der Betrieb komplett auf elektrische Energie umgestellt. Nach dem Zerfall der Monarchie ließ die Nachfrage an Modebändern stark nach, und es wurde auf die Erzeugung von Schirm- und Futterstoffen umgestellt. Erst der Zweite Weltkrieg brachte eine neue Konjunktur. Man lieferte Abzeichen und andere Produkte an die Wehrmacht. Durch den Einsatz von Kriegsgefangenen, Zwangsarbeitern und Juden konnten die Produktionskosten sehr gering gehalten werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wich die Bandweberei der vollautomatischen Breitweberei. Bis ins Jahr 1992 wurden hier Futterstoffe erzeugt, doch seit seiner Stilllegung steht dieses Gebäude leer. Es zählt wohl zu den größten und beeindruckendsten Fabrikgebäuden von Groß Siegharts.

Bandfabrik Hnatek

1865 begann Josef Hnatek mit dem Bau einer Bandfabrik in der damaligen Karlsteiner Straße. Er verlagerte seine seit 1860 im Schloss untergebrachte Banderzeugung in den neuen Fabrikkomplex. Sein Nachfolger Alois Hnatek wurde auch als “Gummifabrikant” bekannt, weil er Hosenträger und Strumpfbänder aus Gummi erzeugte. Wegen Überschuldung musste die Fabrik im Jahre 1893 schließen und wurde kurze Zeit später von Matthias Wagner übernommen. Produziert wurden nun Wäschebänder, Köperbänder und Gurte durch die neuen Eigentümer “Bandweberei Leopold Wagner”.

1902 wurde aufgestockt, 1907 wurde ein Kesselhaus errichtet und der Betrieb auf Dampfmaschinen umgestellt. Auch in dieser Fabrik nahm die Beschäftigungszahl während des Zweiten Weltkriegs stark ab. Heute wird ein Teil des ehemaligen Betriebs von Gertrude Wagner geführt. Im Hofgebäude wurde in den Jahren 1987 bis 1988 durch den Verein “Forum lebendige Textilgeschichte” das “Lebende Textilmuseum” eingerichtet.

Die Besucher erhalten dort einen Einblick in die Entwicklung der Groß Sieghartser Bandweberei. Es befinden sich dort alte Bandmaschinen und Dampfkessel aus den ehemaligen Fabriken. Auch eines der “Fabrichäußl” aus der Mallentheinschen Arbeitersiedlung “Neugebäu” wurde nachgebaut. 

Groß Siegharts

Groß Siegharts war eine Textilverarbeitungsmetropole und man kann die unzähligen Betriebe gar nicht alle aufzählen und erklären, denn dazu bedürfte es wohl eher einem Buch als einem kurzen Artikel. Neben den oben genannten Textilwerken gab es in Groß Siegharts noch die Bandweberei K. Fenzl in der Raabser Straße 29, die Bandweberei Hetzer in der Privatstraße 2 sowie die Möbelstoff-, Decken- und Teppichfabrik in der Rudolf-Hohenberg-Gasse 1 bis 3. 

Der Ort beherbergte zudem in der alten Taverne noch einen Strickereibetrieb. Das Gebäude am Hauptplatz 4 dient allerdings seit 1945 als Wohnhaus. Eine weitere Strickerei befand sich in der Raabser Straße 34, und gleich daneben in der Raabser Straße 32 gab es einmal eine Stickwarenfabrik. 

Weiters möchten wir das alte Verlegerhaus am Hauptplatz 6 herausgreifen. Es wurde vom Bauern Michael Wurst errichtet und diente bis 1910 ebenfalls der Banderzeugung. Dieses wunderschöne Haus wurde schon mehrmals saniert und dient seit damals als Wohnhaus.

Quellenangaben: oesterreichisch.net; siegharts.at; noen.at; Das industrielle Erbe Niederösterreichs von Gehard A. Stadler, Böhlau-Verlag [ISBN: 3-205-77460-4]; 
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