Heute, liebe Leser, möchten wir Ihnen einen Blick hinter die Kulissen des “Nostalgikers” gewähren. Sie als treue Leserschaft haben wohl bemerkt, dass sich Anfang des Jahres etwas in unserer Redaktion verändert hat. Mit Details wollen wir Sie jedoch nicht langweilen, auf den Punkt gebracht: “Der Nostalgiker” hat sein Hauptquartier verlegt. Das mag nun nichts besonderes sein, jedoch sind wir in ein ganz besonderes Gebäude umgezogen. Und darüber möchten wir Sie in nostalgischer Manier aufklären.
Jüngste Gemeinde des Bezirkes Wiener Neustadt
Der neue Sitz unserer Redaktion ist von nun an Felixdorf, im übrigen die jüngste Gemeinde des politischen Bezirkes Wiener Neustadt. Felixdorf hat die Geschichte maßgeblich als Industriestandort und Zuwanderungsort mitgeschrieben. Genau genommen fing alles im Jahre 1869 an. Damals gründete eine Gruppe von Kaufleuten und Industriellen die “Felixdorfer Weberei und Appretur”. Diese plante niemand geringere als der Wiener Ringstraßen Architekt Carl Tietz und daraus entstand eine überwältigende Produktionsanlage mit riesigen Hallen, Büros und Wohnungen für Arbeiter und Angestellte.
Seinerzeit kamen rund 500 Webstühle zum Einsatz, die etwa 10 Millionen Meter Textilgewebe pro Jahr produzierten. Das Veredeln der Textilien nennt man übrigens appretieren. Durch das Anwerben von Arbeitern aus Böhmen wuchs die Fabrik rasant und schon um 1900 zählte sie bereits über 1000 Mitarbeiter.
Fusion mit der Spinnerei Pottendorf
Im Jahre 1912 wurde die Weberei mit der Spinnerei in Pottendorf vereinigt und hieß von nun an “Pottendorfer Spinnerei und Felixdorfer Weberei AG”. Im Jahre 1922 erwarb der Mautner-Konzern den Betrieb und ließ ihn weiter ausbauen. Es folgte der Bau neuer Arbeitersiedlungen und weiterer Hallen. Die Ausstattung dieses Betriebes im Jahre 1925 lässt sich wie folgt aufzählen: eine Dampfmaschine mit 2400 Pferdestärken, Wasserkraftwerk mit rund 210 Pferdestärken, 19524 Feinspindeln, 150 Zwirnspindeln und 1050 Webstühle. Felixdorf wuchs in dieser Zeit zu einem der einwohnerstärksten und größten Orte des Bezirkes heran.
Während des Zweiten Weltkrieges diente die “Engelmühle” als Durchgangslager für ungarische Juden. Zeitweise hielten sich hier bis zu 2000 Menschen auf. Gerüchten zufolge soll das NS-Regime hier auch zeitweilig eine “Pulverfabrik” unterhalten haben. Hierzu konnten wir jedoch leider keine Beweise finden. Gegen Ende des Krieges, das steht unbestritten fest, wurde gerade die Gegend um Wiener Neustadt unter schweren Bombenbeschuss genommen. Und so wurde auch die Weberei in Felixdorf fast vollkommen zerstört. Bis zu 80 Bomben sollen alleine auf das Fabriksgelände abgeworfen worden sein.
Der Wiederaufbau
Nach dem Krieg wurde das Werk wieder aufgebaut und als “Pottendorfer Textilwerke” geführt. Die Hochzeit der Fabrik war wohl in den frühen 1950er-Jahren, bis zu 3000 Mitarbeiter soll das Unternehmen gezählt haben. Ab dem Jahre 1969 entstanden weitere neue Siedlungen und durch den Bau der Wasserleitung wurde Felixdorf ein weiterhin begehrter Industriestandort. Der Niedergang erfolgte in den 1970er-Jahren, als Billigtextilien aus dem fernen Osten immer beliebter wurden. Immer mehr Stellen wurden abgebaut bis im Jahre 1994 die endgültige Schließung erfolgte. Danach drohte das gesamte Areal zu verfallen.
Aus vertraulichen Quellen konnten wir erfahren, dass etwa um das Jahr 2000 ein neuerlicher Versuch der Revitalisierung unternommen wurde. Ein uns unbekannter Bauunternehmer kaufte damals das Areal und wollte im ehemaligen Herrenhaus wohnen und arbeiten. So wurde das Dachgeschoss als Wohnung ausgebaut, das erste Stockwerk als Büroräumlichkeiten adaptiert und im Erdgeschoß sollte sich ein Erholungsbereich befinden. Darum befindet sich im westlichen unteren Teil des Gebäudes auch ein Schwimmbecken. Nach einigen Baujahren verstarb dieser unbekannte Bauunternehmer aber ganz plötzlich und sämtliche Bauarbeiten wurden eingestellt.
Von nun an verrotteten die Gebäude, das Areal wurde von der Natur zurückerobert und verwuchs zunehmends. Außerdem diente es den Bewohnern im Umkreis über viele Jahre als illegale Mülldeponie. Erst im Jahre 2015 wurde das gesamte Areal vom Wiener Immobilienunternehmer Erich Podstatny erworben. Er begann mit seiner Enziana Hotel Gruppe das Gelände zu revitalisieren und übernahm damit auch das bestehende “Euro Center Felixdorf” auf diesem ehemaligen Industriestandort. Ab 2019 wurde nach langwierigen Räumungsarbeiten mit der Sanierung des ehemaligen Herrenhauses, umgangssprachlich auch “Villa” genannt, begonnen.
Das Loft der Redaktion
Unsere Redaktion hat nun also in einer Loftwohnung im Herrenhaus der ehemaligen Weberei Felixdorf seine Zelte aufgeschlagen und all unsere zukünftigen Nachrichten ereilen Sie aus einem höchst ehrwürdigen Gebäude. Im Übrigen stammt das Wort “Loft” aus dem englischen und bedeutet schlichtweg “Dachboden” oder “Speicher”. Aus dem amerikanischen Einfluss ergab sich später auch die Bedeutung eines umfunktionierten Industrieraumes oder Lagers. Anfang der 1940er-Jahre wurden in New York leerstehende Hallen und Fabriken zu Wohnräumen umfunktioniert. Dabei nahm man kaum bauliche Veränderungen vor und daher sind uns Lofts als große Räumlichkeiten ohne Trennwände bekannt. Heutzutage werden Lofts meist aufwändig saniert und den heutigen Standards angepasst.
Quellennachweise: gedaechtnisdeslandes.at/; schlot.at; dorisstelzer.at; Enziana Hotel GmbH;
Dar freut mich, dass man sich in dem alten Herrenhaus, der ‘Villa’ wieder wohl fühlt. Ich durfte hier meine ersten Kindheitsjahre verbringen. Damals sagten wir ‘Direktionsgebäude’. Das war wie eine herrliche englische Villa, mit eigenem Gärtner, Nachtwächter. Wir hatten einen riesigen, gepflegten Garten mit Springbrunnen und rosa Rosen. Es war für mich ein Paradis. Noch heute habe ich den Geruch des Dachboden oder des modrigen Kellers in Erinnerung. Gut dass das Gebäude nicht dem Verfall preisgegeben wird.
Herzlichst
Klaudia Welsch (geb. Reisinger)
Sehr geehrte Frau Welsch,
herzlichen Dank für diese nostalgischen Erinnerungen die Sie mit uns teilen. Das Gebäude ist wahrlich sehr beeindruckend und das Umland mittlerweile sehr verwuchert. Der kleine blaue Brunnen existiert noch, wenn auch verfallen und voller Laub. Auf dem “Dachboden” befinden sich nun Dachgeschoßwohnungen mit Terrassen und der “modrige” Keller existiert wohl noch so wie in Ihren Erinnerungen. Er riecht vermutlich auch noch genauso wie damals. 😉
Mit besten Grüssen
Andrew Grimes