Gemma schau’n!

Justizpalastbrand
Justizpalastbrand 1927; Foto: Bildarchiv Austria

Des Wieners Lust an Freud und Leid der anderen ist allerorts bekannt, und auch heute scheint dies noch immer so zu sein. Das bestätigen zahlreiche Berichte über Menschenansammlungen, die immer dort stattfinden, wo sich etwas Tragisches ereignet hat. Dass heutzutage viele Menschen solche Ereignisse mit dem Handy filmen und in sozialen Netzwerken verbreiten, verdeutlicht  diese Sensationsgier und Gefühlskälte vieler Menschen. Doch schon vor mehr als hundert Jahren waren die Menschen, allen voran die Wiener, sehr sensationslüstern. Damals wie heute obliegt es den Medien, wie sie darüber berichten – denn sie haben die Macht, durch die Art der Berichterstattung und die Wahl der Worte entweder sachlich oder emotionsgeladen zu berichten und dadurch die Menschen zu beeinflussen. 

Ein großes Spectacle

Reisen wir zurück in das Jahr 1854. Wir schreiben den 23. April um die Mittagszeit. Sämtliche Häuser bis hinauf an die Giebel, alle Berge und Weingärten, das ganze Ufer der Donau waren an jenem Tag mit Menschen gesäumt. So dicht, dass kein Verkehr mehr möglich war. Anlaß war die Ankunft der zukünftigen Kaiserin Sisi, der Braut von Franz Joseph, die mit dem Schiff aus Bayern anreiste und nun endlich Wien erreichte. Ganz Nußdorf war aus dem Häuschen, Groß und Klein war auf den Beinen, ganz nach dem Motto: “Gemma Kaiserbraut schau’n.

Endlich gegen 11 Uhr war es dann soweit, Böllerschüsse kündigten die herannahende junge Monarchin an. Von der Höhe des Leopoldsberges entfaltete sich dem Zuschauer ein imposantes Schauspiel. Als die durchlauchtigste Prinzessin dann von Döbling über Währing und Hernals via Schmelz mit einem Wagen nach Schönbrunn fuhr, staunten wieder Massen über Massen. Überall waren Girlanden und Blumen, Bouquets mit Inschriften, österreichische und bayrische Fahnen wehten im Frühlingswind nebeneinander, Glockenläuten und Jubel schallte durch die Straßen. Ja, so pflegte man im alten Wien eine angehende Kaiserin zu begrüßen. 

In Anbetracht derartiger Zeilen fragt man sich: Wer hat sich damals mehr gefreut, das blutjunge Mädchen aus Bayern oder die Wiener? Ein Journalist der “Wiener Zeitung” versuchte dafür Worte zu finden, die heute wohl ein wenig kitschig klingen mögen: “Es war der Erguß jenes Gefühles, welches unsterblich in der Brust des Österreichers waltete eines Gefühles, so reiner und menschlicher Natur und zugleich erhöht und Verherrlicht durch den erhabenen Gegenstand, an welchen es sich anschließen durfte.” [sic]

Auch am Tage der Vermählung, dem 24. April, erfolgte der Einzug der Braut unter tausendstimmigem donnerndem Jubel. Abends war Wien ein Lichtermeer, das Ereignis wurde tagelang noch zelebriert. In den Gassen hallte der Jubel, es wurde getanzt und gefeiert. Die Wiener projezierten ihre Sehnsüchte und Hoffnungen auf den jungen Herrscher und seine schöne Frau. 

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Die letzte Hinrichtung

Aber neben den fröhlichen Dingen wurden in Wien auch die düsteren und traurigen Ereignisse gefeiert. Der Hang des Wieners zum Morbiden, zur Welt, die mit dem Tod verbunden ist, ist legendär. Welche Freuden und Sensationslust die Wienerinnen und Wiener bei Exekutionen hatten, belegt in erschreckender Weise die Berichterstattung der letzten öffentlichen Hinrichtung im Jahre 1868. In der Presse vom 30. Mai 1868 ist folgendes zu lesen: ”Ein trauriges, tief verdüsterndes Ereignis hat heute stattgefunden. Der Mörder Georg Ratkay ist auf grund dessen, daß er sein Verbrechen gestanden, kraft des Gesetzes vor einer riesigen Pöbelmenge, aus dem Abschaum des Bevölkerung bestehend, die sich dem schrecklichen Acte, wie zu einem ungewöhnlich ergötzenden Schauspiele unter Äußerungen des empörendsten Cynismus drängte, hingerichtet worden.” [sic]

Schon gegen 07:00 Uhr früh versammelten sich Menschenmassen vor dem Landesgericht und begleiteten den Zug dann bis zur Spinnerin am Kreuz, außerhalb der damaligen Matzleinsdorfer Linie (der heutige Gürtel). An der Richtstätte versammelten sich gewiß um die 30.000 Wiener und Wienerinnen, die auf den Dächern, den Feldern und improvisierten Tribünen standen. Das riesige Aufgebot an Militär und Polizei war damals nicht imstande, den Andrang der Bevölkerung im Zaume zu halten. 

Diese und viele andere Ereignisse haben sich in der Geschichte Wiens ereignet und bis heute ist die Sensationslust des Wieners ungebrochen. Auch Katastrophen wie der Brand des Justizpalastes oder die Brandkatastrophe am Holzlagerplatz am Nordbahnhof im Jahre 1911 waren willkommene Abwechslungen für das Wiener Volk. 

Quellennachweise: profil.at/; wienerzeitung.at; Wiener Vergnügen von Thomas Hofmann und Beppo Beyerl [ISBN: 978-3-222-13646-7];
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