Panoptikum Europa – Wien

Wien
Wien - k.k. Reitschule und Burgtheater 1845; G.M.Kurz sculps.
Wien – Rasch eilt das Schiff auf der Donau der Kaiserstadt zu. Eine Menge Thürme stellen sich dar. Palläste und prächtige Gebäude präsentiren sich von allen Seiten und man wird über deren Schönheit entzückt, wenn man noch nie in Wien war. Die Ruderer arbeiten mit aller Gewalt, um ihre und der Reisenden Sehnsucht zu stillen, und so kommt man endlich am Landungsplatz an. Sich glücklich preisend, daß man das Ziel seiner Reise endlich erreicht hat und (wenn man ein österreichischer Unterthan ist) wieder in die Nähe des besten Landesvaters gelangt ist, eilt man an’s Land und der Hauptstadt zu.

Wien, die Hauptstadt von Niederösterreich und des ganzen österreichischen Kaiserstaats und die Residenz des Kaisers von Österreich, gehört unter die größten und schönsten Städte Europas. Wenn man die Kaiserstadt sammt ihren Vorstädten und nächsten Umgebungen mit Einem Blicke und gleichsam wie auf einem Panorama überschauen will, so steige man auf den St. Stephansthurm. Da sieht man gegen Osten bis an die Berge bey Haimburg und Preßburg, gegen Norden über die grünenden Donauinseln an die mährischen Gränzen, gegen Süden bis an den Schneeberg und die hinter demselben befindlichen steyrischen Gebirge. 

Der ganze Umfang der Stadt beträgt 13.800 Klafter, das sind 3½ deutsche Meilen. Das Innere der Stadt ist, wie bey allen alten Städten, nichts weniger als regelmäßig. Die 18 Plätze derselben sind meistens klein, die 110 Gassen enge und krumm (was dem Fremden sehr lästig fällt, weil er in jedem Augenblick durch die Fiaker gerädert zu werden befürchtet), werden jedoch zur Nachtzeit durch 4000 Laternen erleuchtet. Der Häuser, sämmtlich massiv, sind ohne die Kirchen 1215, welche von 50.098 Menschen bewohnt werden. Wien ist die erste Fabrikstadt des Kaiserstaats. Die Manufacturen und Fabriken beschäftigen gegen 60.000 Menschen. Die Menge der Künstler, besonders der Maler, Zeichner, Kupferstecher und Lithographen, ist außerordentlich groß. Wien ist zugleich der Mittelpunct des österreichischen Handels und das Depot des gesammten Geldumlaufs. 

In Wien sind gegen 70 Kaffeehäuser, viele Gasthöfe u.s.w. Wien hat fünf Schauspielhäuser: das National-Theater nächst der Burg für regelmäßige Lust-, Schau- und Trauerspiele, das Theater nächst dem Kärtnerthore für Opern und Ballets, das große Schauspielhaus an der Wien, das besonders zu Spectakelstücken geeignet ist, das Theater in der Leopoldstadt und das niedliche kleine Theater in der Josefstadt. Als große öffentliche Promenaden stehen dem Publicum der Prater, die Brigittenau, der Augarten und verschiedene öffentliche und Privatgärten zu Gebote. Zum schnellen Fortkommen stehen 650 numerirte Fiaker vom Morgen bis um Mitternacht bereit. Zu den nächsten Umgebungen von Wien gehört das kais. Lustschloß Schönbrunn, eine halbe Stunde außer den Linien, südwestlich gelegen, mit den schönen Gärten, die eine Schöpfung von Maria Theresia sind. Der Lustgarten umgibt das Schloß von drey Seiten; der große, im französisch-holländischen Geschmacke angelegte Garten steht dem Publicum offen.

G.C.B. Rumy, 1826

Alle Texte sind in alter Schreibweise wiedergegeben und großteils unverändert. Die Bilder dienen als zeitgenössische Kommentare und entstammen demselben Werk. 

RUMY, Georg Carl B., Zwey hundert vier und sechzig Donau-Ansichten nach dem Laufe des Donaustromes, Wien 1826
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