Wiener Originale: Baronkarl

Baronkarl
Karl "Baronkarl" Baron

Herr Karl Baron oder auch besser bekannt als “Baronkarl” war ein Wiener Bezirksoriginal, das in der Zwischenkriegszeit in Favoriten jedem Bewohner und besonders den Kindern bekannt war. 

Die Familie Baron

Sein Großvater war ein böhmischer Ziegelarbeiter – der “Ziegelböhm” – gewesen, die in den Ziegelwerken am Wienerberg gearbeitet hatten. In Wien wurde 1855 auch sein Vater, Ferdinand Baron, geboren, der aber später wieder nach Böhmen zog. Dort erlernte er den Beruf eines Maurers und brachte es bis zum Polier. Er heiratete Anna Welan und das Ehepaar bekam drei Kinder: Karl, geboren am 24. Januar 1882, Anna und Rosa. Ende des 19. Jahrhunderts zogen die Barons wieder nach Wien und lebten an verschiedenen Adressen im 10. Wiener Gemeindebezirk.

Der Familie ging es finanziell recht gut, Anna half im Haushalt, Rosa erlernte das Schneiderhandwerk und Karl wurde Möbeltischler. Nach seiner Lehrzeit nahm er eine Stelle als Tischler in einer Werkstatt im Arsenal an. Bei einem Arbeitsunfall verletzte ihn ein Kollege mit einem Hammer am Jochbein und als Karl Baron nach seiner Ohnmacht wieder erwacht war, war er ein anderer Mensch. Er wollte die bürgerliche Arbeit niederlegen, denn da “wird er eh nur erschlagen”, und sich eher einem künstlerisch-musikalischen Leben widmen. In seiner Jugend erlernte Karl nämlich das Geigenspiel, später auch Cello und Harmonika, und auch das Flügelhorn konnte er spielen.

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Kriegsjahre

Im Feber 1915 musste Karl Baron einrücken und ging als Landessturmrekrut mit dem 8. Marsch-Bataillon an die russische Front. Dort erkrankte er an Typhus und Blattern, wurde wieder nach Österreich geschickt und danach für den Dienst ohne Waffe wieder tauglich gesprochen. Im August 1918 desertierte Karl Baron.

Nach dem Krieg benötigte seine Mutter, die seit September 1914 verwitwet war, finanzielle Unterstützung. Auch seine Schwester Anna verlor ihren Mann in der Schlacht und ihre drei Kinder mussten ernährt werden. So richtete sich Karl im Keller des Wohnhauses eine kleine Werkstatt ein, um sich mit Tischlerarbeiten Geld zu verdienen. Leichte Ansätze eines bürgerlichen Lebens ließen sich langsam wieder erkennen.

Das Vagabundenleben

Irgendwann begann Karl Baron zu trinken und schlug sein gewünschtes Vagabundenleben ein, um auf den Straßen Wiens zu musizieren. Laut seiner Schwester Anna habe er das bereits nach seinem Unfall im Jahre 1905 mehrmals getan. Karl Baron lernte auf der Straße einige Sprachen, er soll vier Sprachen fließend gesprochen haben. Zudem soll er einer der schnellsten Kopfrechner Wiens gewesen sein.

Nachdem seine Mutter im Jahr 1920 in die Versorgung nach Linz gekommen war, blieb Karl noch bis zum 16. Feber 1926 in der elterlichen Wohnung am Keplerplatz gemeldet. Danach verschwindet seine Spur. Sporadische Meldungen gibt es noch von der Männerherberge Pokorny & Co und von verschiedenen Obdachlosenheimen der Stadt Wien.

Später bevorzugte er eine Erdhöhle in einer Böschung zur Laaer-Berg-Straße, die er als “Sommerwohnung” nutzte. Das Wohnen in Erdhöhlen war damals nicht ungewöhnlich, denn aufgrund der vorherrschenden Armut hausten in dieser Gegend unzählige Familien in solchen Erdlöchern. Karl Baron verbrachte seine Tage mit dem Musizieren und Malen, kochte auf seinem kleinen Herd sein Essen und rauchte selbstgedrehte Zigaretten. Bier und Tabak erwarb er sich als “Fassltippler” oder auch “Biertippler”, den Tabak als “Tschickarretierer”. So heisst das Sammeln von weggeworfenen Zigarettenresten und Bierresten aus Fässern und Gläsern.

Manchmal schlief er auch dort, wo er sich gerade aufhielt, oder auf Mistplätzen. Im Winter zog es ihn in Straßenbahnwaggons oder in die Kommunekiste, in der der Sand für Schneeglätte aufbewahrt wurde.

Die Legende Baronkarl

Über die Jahre wurde er in Favoriten bezirksbekannt; bald schon kannte man ihn in ganz Wien und über die Grenzen Wiens hinaus. Man kannte ihn am Viktor-Adler-Markt ebenso gut wie in der sogenannten “Kreta” zwischen Quellenstraße, Gudrunstraße und Geiselbergstraße. Auch in den Parks von Favoriten war der Baronkarl immer von einer Schar Kinder umringt. Er erzählte Geschichten und musizierte für sie. Wenn Erwachsene stehen blieben, ging er danach mit einem Hut Geld sammeln. Von diesem Geld kaufte er den ärmsten Kindern Speisen oder Naschereien. 

„I bin, aber das versteht´s ihr net“, sagte er lächelnd, „ein armer Reicher […] I bin der Liebe Augustin von Favoriten. Und ein einziger Wunsch an das Schicksal ist, daß ich einmal gaach in Himmel einiflieg […]!“

Der Baronkarl war unaufdringlich und bettelte niemals, er war ein liebenswerter Mensch. Mütter gaben ihre Sprösslinge sogar in seine Obhut, während sie Erledigungen zu tätigen hatten. Und von dem Wenigen, das er hatte, gab er immer noch etwas ab, denn er war der Meinung, dass es immer noch Ärmere als ihn gäbe. 

Das Favoritner Wochenblatt schrieb am 16. August 1958 folgendes über den Baronkarl:

Seine Augen konnten beim Reden lustig blinzeln, bisweilen aber nahmen sie einen melancholischen Ausdruck an. Besonders nach dem reichlichen Genuß von Bierresten, die er aus den fast leeren Fässern vor den Wirtshäusern in sein Reindl zu leeren pflegte. Viele Kinder und Erwachsene umringten ihn oft, aber seltsamerweise spotteten sie kaum über ihn – es lag ein gewisses Etwas über diesem pittoresken Fasseltippler, ein Etwas, das ihm trotz aller Verwahrlosung die Sympathie seiner Mitmenschen eintrug.” [sic]

Naziherrschaft und letzte Jahre

Während der Naziherrschaft in Österreich wurde der Baronkarl in diversen Obdachlosenheimen untergebracht. Er überstand das Dritte Reich unbeschadet, was für Menschen seines Schlages etwas schwieriger war. Und trotz aller Spötteleien geschah ihm nichts. So nannte er den Gauleiter Brückel in aller Öffentlichkeit spöttisch “Bierleiter Gaukel”. Und als sich dieser von den Wienern mit den Worten: ”Wenn der Flieder blüht, komme ich wieder, verlasst euch drauf“ verabschiedete, bemerkte der Baronkarl lautstark: „Seither schneiden die Wiener die Fliederbam ab.“ Nach der Befreiung war der Baronkarl überglücklich, rannte singend durch die Gassen und tanzte mit den Kindern Ringelreihen. Und die Wiener freuten sich mit ihm. Später half er auch bei den Aufräumungsarbeiten im zerbombten Wien und sicherte sich so für viele Wochen seine Verpflegung. 

Am 13. Oktober 1948 hatte den Baronkarl das Glück verlassen und er wurde Ecke Favoritenstraße – Schleiergasse von einem Lastwagen umgestossen. Er war sofort tot. Die Vereinigung der Musiker und Musikfreunde Wiens übernahmen das Begräbnis. Angeblich sollen damals zwischen 8000 und 10000 Menschen dem Begräbnis am Zentralfriedhof beigewohnt haben. So beliebt war der Baronkarl in Wien! Später wurde er oft liebevoll als “Lieber Augustin von Favoriten” oder als “lachender Philosoph” oder auch als “Diogenes von Favoriten” bezeichnet. Aber natürlich äußerten einige Wiener Kritik an dem Baronkarl und seinem lumpenhaften Leben.

1995 wurde die Grabanlagengruppe aufgelassen, und er wurde auf den Matzleinsdorfer Friedhof in das Grab Nummer 15/238 verlegt. Im selben Jahr noch wird eine Gasse nach ihm benannt, die Baron-Karl-Gasse in Favoriten. 

Quellennachweise: Diplomarbeit “Wiener Originale der Zwischenkriegszeit“ von Frederike Kraus, 2008;

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