Jugendliche aus 1900

Warum früher alles besser war

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Nostalgie ist eine Sehnsucht nach dem Gestern, das unwiederbringlich vergangen ist. In Erinnerungen schwelgen tröstet, macht großzügiger, hilfsbereiter und optimistischer. Zusammengefasst macht es einfach glücklich.

Nostalgie macht glücklich


Fast jeder von uns hat Nostalgie schon selbst erlebt – dieses sentimentale Zurücksehnen in vergangene Zeiten. Nostalgie ist also eine Art Korrektiv. Sie kommt dann auf, wenn Körper und Seele im Ungleichgewicht sind und stellt kurzfristig wieder eine Balance her. Dafür spricht auch eine Studie von Tim Wildschut aus dem Jahre 2006. Auch die Psychologen von der University of Southampton und der University of Missouri berichteten, dass etwa 80 Prozent der Befragten mindestens einmal im Monat nostalgische Gefühle hegen, ein Viertel sogar regelmäßig und wenigstens einmal pro Woche. 

Nostalgie wirkt sich sogar auf den Körper aus. Dies stellte der Forscher Xinyue Zhou von der chinesischen Sun Yat-Sen University fest. Er senkte in einem Raum, in dem sich die Probanden befanden, die Temperatur. Je niedriger die Temperatur wurde, desto eher hingen die Probanden nostalgischen Erinnerungen nach. Der Grund dafür ist einfach erklärt: Ihnen wurde wärmer – nostalgische Erinnerungen erhöhen nämlich die geschätzte Raumtemperatur um etwa vier Grad. “Nostalgie schmälert nicht nur das körperliche Unbehagen, das mit Kälte verknüpft ist, sondern erhöht auch die Toleranz ihr gegenüber”, schlussfolgerten die Wissenschaftler.

Dass man so viel über ein solches Phänomen weiß, verdankt die Nostalgie aber vor allem ihrer düsteren Geschichte. Der Schweizer Arzt Johannes Hofer schilderte schon im Jahre 1688 drei ungewöhnliche Krankheitsfälle in seiner Dissertation. Die Symptome waren Melancholie, Schlaflosigkeit und fehlender Appetit, die mit ständigen Gedanken an die Heimat verknüpft waren, die die Patienten für Arbeit und Lohn verlassen mussten. Der Begriff “Nostalgie” setzt sich aus den griechischen Wörtern “nóstos“, das für Rückkehr steht, und “álgos“, das Schmerz bedeutet, zusammen. Hofer wählte diesen Begriff für diese damals neue, rätselhafte und manchmal tödliche Krankheit.

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Rosige Vergangenheit


Ein weiteres Phänomen ist die “Rosige-Vergangenheit”-Verzerrung. Die meisten Menschen leiden heutzutage darunter. Das heißt einfach erklärt, dass wir im Nachhinein gerne meinen, unsere Erlebnisse seien interessanter und besser gewesen als sie tatsächlich waren. Festgestellt hat das in einer Serie von Studien Terence Mitchell aus den USA. Die Forscher dokumentierten, dass die Probanden während der gemachten Erfahrungen sehr oft negative Emotionen dabei hatten. Dies reichte von Enttäuschungen über Ablenkungen bis hin zu Selbstzweifeln. Nur einige Tage später waren diese unguten Gefühle und Erfahrungen jedoch vollends vergessen.

Die Erklärung dazu ist eine simple: Unser Gedächtnis verarbeitet Erinnerungen unterschiedlich und so kommt es, dass positive Erinnerungen besser verarbeitet und gespeichert werden als die negativen Erinnerungen. Schlechtes vergisst der Mensch also schneller als Gutes. Hinzu kommt noch der Effekt von verblasster Erinnerung, der häufig bei Menschen über 40 Jahren auftritt. Laut Forschern Jonathan Koppel und David Rubin ist es Tatsache, dass die allermeisten Menschen über 40 mehr Erinnerungen von ihrer Jugend und ihrem früheren Leben haben als von der Zeit danach. Diese positiven Erinnerungen werden teilweise so gut im Gehirn abgespeichert, dass diese sogar im hohen Alter noch abrufbar sind. 

Ebenso spielt uns das emotionale Gedächtnis manchmal einen kleinen Streich. Emotionen verklären den Blick auf die Realität und Erlebnisse, die stark emotional begleitet wurden, werden daher später verklärter dargestellt. Wir erlebten viele Dinge zum ersten Mal: der erste Kuss, der erste Sex, der erste Beruf. Diese emotional prägenden Ereignisse sind daher tiefer im Gehirn verankert und können daher die Erinnerungen daran verzerren.

Die Zeiten vergehen, aber die Erinnerungen bleiben


Die Nostalgie nimmt zunehmend mehr Raum im Alltag ein, weil das Bedürfnis, in Erinnerungen zu schwelgen, größer wird. Begründet wird dies durch den demografischen Wandel: Die Menschen werden immer älter und haben daher mehr Erinnerungen, auf die sie zurückgreifen können. Ebenfalls sei ein Kennzeichen westlicher Gesellschaften der rasche und stetige Wandel, der Unsicherheit und Unbeständigkeit fördere und damit die Nostalgie bestärke.

Auch die in den vergangenen Jahren aufkommende Mode zum Retro-Look beflügelt die Nostalgie. Immer mehr Menschen verändern dadurch ihren Lebensstil, um ihre Leidenschaft noch ein Stück intensiver ausleben zu können. Sei es die Musik, Mode oder Antiquitäten, ein dahin gehender Lebensstil steht unweigerlich in engem Zusammenhang mit der Nostalgie. Zumal hierbei ein Unterschied zwischen gedanklicher Nostalgie und einem nostalgischen Lebensstil gemacht werden muss, der ja viel mehr ist als nur die bloße Erinnerung.

Schlussfolgernd war demnach früher nicht alles besser. Es war wohl einfach nur anders. Sicher gab es unzählige Dinge, die in der Tat besser waren als sie heute sind; es gab jedoch auch sehr viel Schlechtes in unserer Vergangenheit, welches wir durch unsere verzerrten und verklärten Erinnerungen nicht mehr ganz wahrhaben wollen oder können. 

Quellennachweise: welt.de; spiegel.de; sciencedirect.com
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Andrew Grimes

Andrew Grimes wurde in den siebziger Jahren in der Bundeshauptstadt Wien geboren. Schon in seiner Jugendzeit lauschte er gerne alten Musikstücken, interessierte sich für geschichtliche Ereignisse und erfreute sich am historischen automobilen Rennsport. Etwa 2015 begann sich seine Leidenschaft auch auf seine Lebensweise auszuwirken. Langsam änderten sich Interessen sowie Kleidungsstil, auch besuchte Andrew Grimes immer häufiger einschlägige Veranstaltungen der sogenannten Vintage-Szene.

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