Die Wiener Kaffeehauskultur

Kaffeehaus

Das typische Wiener Kaffeehaus war nicht nur ein Ort des Getränke- und Speisekonsums, sondern vielmehr ein ganzjährig offener Wohn- und Arbeitsraum für seine Gäste, die häufig den gleichen Berufs- oder Interessengruppen angehörten. Im Kaffeehaus war man übrigens telephonisch erreichbar und man konnte sich auch seine Post dort hinschicken lassen. Zudem lagen zahlreiche Zeitungen, Fachzeitschriften und Illustrierte aus aller Welt auf, was zu jener Zeit sehr bedeutend war, denn ausländische Periodika waren im freien Verkauf sehr beschränkt. Außerdem hielten die Kaffeesieder Adress- und Telefonbücher, Fahrpläne und teils auch Konversationslexika zur Verfügung.

Zu späterer Stunde bot man regelmäßig Unterhaltung an, von Klassik  über Schrammelmusik bis hin zu Jazz. Des weiteren wurde in separierten Bereichen dem Spielen gefrönt. Billard, Schach oder klassische Kartenspiele wurden hier allabendlich ausgetragen. Diese Vielzahl an Funktionen und Dienstleistungen boten seinerzeit nicht nur die vom Bürgertum frequentierten, etwas teureren Kaffeehäuser (Stadtcafès) an, sondern auch die kleineren und einfacheren Vorstadtcafès, welche die “einfachen” Leut aufsuchten.

Die Entstehungsgeschichte

Die Geschichte der Wiener Kaffeehauskultur ist eine sehr traditionsreiche und lange Geschichte. In Istanbul, der Hauptstadt des Osmanischen Reichs, wurde schon 1554 das erste Kaffeehaus eröffnet. Auch in Ofen (Buda) soll es unter türkischer Hand schon im Jahre 1580 ein weiteres Kaffeehaus gegeben haben. Laut kaiserlicher Hofkammer wurden in Wien im Jahre 1645 die ersten Ausgaben für Kaffee verbucht. Am 17. Januar 1685 erhielt der Armenier Johannes Deodat das erste Privileg zum öffentlichen Ausschank von Kaffee;  dieses erste Kaffeehaus Wiens befand sich auf dem Haarmarkt (heute Rotenturmstraße 14). Ein weiterer Betreiber eines sehr frühen Kaffeehauses, nämlich dem Cafè Rebhuhn, war Isaac de Luca.

Es kamen dann nach und nach in verschiedenen europäischen Städten (Venedig, Marseille, London, Paris, Hamburg) Kaffeehäuser hinzu. In Wien entwickelte sich parallel zu Paris und London eine eigene Kaffeehauskultur. Vieles davon ist leider bereits Geschichte, das klassische Wiener Kaffeehaus ist schon fast zur Gänze ausgestorben und die wenigen Traditionshäuser, die es noch gibt, sind längst nicht mehr das, was sie einst waren. Doch immerhin wurde die Wiener Kaffeehauskultur im Jahre 2011 offiziell in das Verzeichnis des nationalen immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen.

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Sitten und Gebräuche

In den weltberühmten innerstädtischen Kaffeehäusern – Café Griensteidl, Café Central und Café Herrenhof, gingen Bekanntheiten wie Alban Berg, Elias Canetti, Sigmund Freud, Adolf Loos, Oskar Kokoschka, Arthur Schnitzler, Karl Kraus, Ernst Polak, Hugo Sperber, Viktor Adler, Otto Bauer und viele andere ein und aus. Und unter all den Journalisten, Advokaten, Literaten, Wissenschaftlern und anderen Gleichgesinnten gab es freilich ganz eigene Sitten und Gebräuche. 

So wollte es manch ein Stammgast nicht, als eben solcher tituliert zu werden. Die Behauptung, keiner zu sein wurde oft mit einer Beharrlichkeit verteidigt, wie es sonst nur Betrunkene von sich behaupten. Trotz alledem hatten vieler dieser Personen eine klassische Haltung eines Stammgastes. So erschienen gewisse Personen über Jahrzehnte immer zur selben Zeit im selben Kaffeehaus und ließen sich am selben Tisch nieder. Sie mussten keinerlei Bestellung tätigen, denn das wurde als lästig und unter der Würde angesehen. So lag es an den Kellnern, sich um die Bedürfnisse ihrer Gäste ganz selbstverständlich zu kümmern. Es wurde daher wortlos das Lieblingsgetränk und die Mehlspeise samt gewünschter Zeitungen herbeigebracht. Ein angesehener Stammgast, auch wenn er keiner sein wollte, musste für seinen Kaffeehausbesuch kein einziges Wörtchen aufwenden. Und diese Prozedur wurde über Generationen an Kellnern weitergegeben, sodass die Obsorge um die Stammgäste über Jahrzehnte erhalten blieb. 

Ein weiteres ungeschriebenes Gesetz gab es im Cafè Herrenhof. Das Cafè Herrenhof bestand damals aus zwei annähernd gleich großen Räumlichkeiten. Aus unerklärlichen Gründen galt der hintere Saal als der “richtige”. An den Fenstertischen im vorderen Saal saßen die prominenten Stammgäste schon während der frühen Nachmittagsstunden, aber erst zwischen fünf und sechs Uhr entfaltete sich in den Logen des hinteren Saals das eigentliche literarische Leben. Es war selbst den Angehörigen der Spitzenklasse unzulässig, am Nachmittag hinten zu sitzen oder am Abend vorne. So kam es auch, daß manche Repräsentanten zwei Stammtische im selben Lokal beanspruchten – einen für den Nachmittag, einen für den Abend.

Die Institution Kaffeehaus

Das Kaffeehaus entwickelt sich in Wien rasant weiter. 1873 zählte man bereits 200 Kaffeehäuser und in den folgenden Jahrzehnten stieg diese Zahl sprunghaft. Schließlich wurden 1202 Konzessionen erteilt, davon 436 Kaffeeschenker und 766 Kaffeesieder. In der Inneren Stadt gab es später rund 129 Kaffeehäuser. Im Fin de siècle und in der ersten Republik bildete das Kaffeehaus einen gesellschaftlichen Treff- und Mittelpunkt, der den Klubs anderer Länder an die Seite zu stellen ist; das Literaten-, Künstler- und Intellektuellencafé erlangte legendäre Bedeutung (Café Griensteidl, Café Central, Café Herrenhof, Cafè Colosseum, Cafè de l’Europe und andere).

Die Institution konnte den Ersten Weltkrieg überdauern und erlebte in der Nachkriegszeit einen neuerlichen Aufschwung. Der zweite Weltkrieg brachte auch über die Wiener Kaffeehauskultur ein großes Übel. Viele Kaffeesieder waren jüdischer Abstammung und so wurde das Wiener Kaffeehaus vom NS-Regime als “jüdisch” diskreditiert. Zahlreiche Lokale mußten geschlossen werden und es begann der Verfall des Wiener Kaffeehauswesens. Danach kam der Espresso aus Italien zu uns und damit auch die heute noch beliebten Espressos. Die noch bestehenden traditionsreichen Kaffeehäuser des alten Wiens wurden bedauerlicherweise langsam verdrängt.

Qullennachweise: geschichtewiki.wien.gv.at; Die Tante Jolesch von Friedrich Torberg, Verlag CW Niemeyer, [ISBN: 3-8271-1966-9]
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